Ökologische Ökonomie: Everybody's-Darling-Economics II
Unübertroffen im Wünschen - die United Nations
Die Gründung des IPCC fand 1988 durch das United Nations Environment Programme und die World Meteorological Organisation statt. Aufgabe des IPCC (195 Mitgliedstaaten, Stand Okt. 2021) ist die Versorgung seiner Mitgliedsländer mit wissenschaftlichen Daten zum Wünschbaren. Bei derzeit (Okt. 2021) 193 Mitgliedstaaten der UN ist von nahezu vollständiger Deckungsgleichheit der Mitgliedschaften auszugehen.
Die UN-Weltklimakonferenz in Glasgow (31.10.2021 bis 12.11.2021) hat das seitherige Ziel, die Erderwärmung auf 1,5° C gegenüber der vorindustriellen Zeit zu beschränken, bestätigt, mit der Einschränkung einiger Länder allerdings, dies nicht im bisherigen Zeitrahmen erreichen zu können/wollen. Neben diesem Ziel verfolgt die UN eine 2030 Agenda zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDG), die die sie zuletzt 2015 zusammengestellt hat[1]. Somit stellt sich die Frage nach dem Verhältnis dieser Ziele zum Erderwärmungsziel[2]: „The SDG process so far has merely opened the door. There is still much additional work needed to elaborate (1) the complex interconnections between the goals; (2) the means-ends continuum toward an overarching goal; and (3) a ‚narrative of change‘ to describe the societal shifts and policy reforms necessary to achieve the SDGs and how this could actually happen within existing socioeconomic and geopolitical circumstänces …“ Hervorhebung durch d. Verf.). Daraus ergibt sich zweierlei: Erstens ist nicht die Beschränkung der Erderwärmung das Ziel, sondern sie ist das Mittel, um die SDGs zu erreichen. Zweitens kommt man offenbar in der Wahl der Mittel wesentlich schneller voran als in der Zielformulierung, im wesentlichen auch begünstigt durch den Druck der Straße. Das lässt für die Folgerichtigkeit des Entscheidungsprozesses über den Mitteleinsatz nichts Gutes erwarten. Wer den zweiten Schritt so dringend vor dem ersten tun will, hat beträchtliche Kenntnislücken zu verschleiern. Die Betrachtung des nachstehenden Zielkatalogs lehrt eigentlich, dass er nur in einem Schilde geführt wird, das immer dann aus dem Fundus hervorgeholt wird, wenn es gilt, gute Absichten zu zeigen. Die Arbeit daran, die Costanza e. a. noch zu tun vorschwebt, wird die Versteppung der Oberrheinischen Tiefebene und die Überflutung von Südseeinseln überdauern.
Die 17 Ziele der United Nations 2015, gebündelt nach den drei Elementen der nachhaltigen Wohlfahrt durch Costanza e. a.:
Tab. 13 Vereinte Nationen, Ziele der wirtschaftlichen Entwicklung
Wem dies noch zu ungeordnet und unbestimmt erscheint, kann in der 2030-Agenda der United Nations zu den einzelnen Zielen nachlesen, ihm wird aber keine Abhilfe zuteil, denn dort liegt der noch dichtere Dschungel.
Ist das Gutmenscherei, Alles für Alle zu fordern oder ist es bloß Gefräßigkeit und Selbstüberhebung ohne Maß? Institutionen, die sich Wunscherfüllungen ohne Beschränkungen vorstellen, haben jeden Anspruch auf eine ökonomische Beratung verwirkt, und die Ökonomie kann sie nicht beraten, denn ihr Geschäft ist der Umgang mit Knappheit. Ökonomen sind auch ungeeignet, für Frauenertüchtigung oder die Beseitigung von Ungleichheit zwischen den Ländern und innerhalb ihrer Grenzen zu sorgen. Nicht alle Ökonomen wissen das aber, insbesondere nicht jene, die Assessment-Modelle mit einer zu maximierenden gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsfunktion entwerfen und deren Erfüllung mithilfe eines benevolent central planner überwachen lassen wollen. Hier wird der Ruf nach Interdisziplinarität laut, aber die haben wir doch schon: Der Ökonom bearbeitet ökonomische, der Psychotherapeut seelische, der Philosoph ethische, der Ingenieur technische Fragen, und wenn jeder seine Arbeit macht nach den Maßstäben seines Fachs in due diligence, ist schon vielem Übel abgeholfen. Wer das versteht, wird nicht mehr die Verantwortung für alle Übel der Welt bei der Ökonomie abladen wollen.
Im Kneipp-Gang – Ziel-Arbeit an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht
Ganz anders Rogall und Mitstreiter. Mit Gelassenheit und Ruhe, die Drängnisse der Zeit souverän verachtend, widmen sie sich der Grundlagenforschung zu einer Nachhaltigkeits-Ökonomie. Rogall ist Verfasser eines Lehrbuchs mit dem Titel Nachhaltige Ökonomie, dessen dritte Auflage derzeit in drei Bänden erscheinen soll[3] . Über einen Erkenntnisgegenstand, der nach Äußerungen aus dem Hause Institut für Wirtschaft und Recht in Berlin, selbst unter Geburtswehen gerade erst formuliert worden ist (vermutlich auch noch nicht endgültig) und zu dessen Erforschung man erst die Schuhe geschnürt hat, ein Lehrbuch zu schreiben, ist kühn. Der Stand der Forschung ist (ein Darstellungshinweis an den Leser wie: in Kürze erübrigt sich) folgender: Gut 10 Jahre nach der Gründung eines Netzwerks zur Bestimmung des Erkenntnisziels und der Ziele, die damit verfolgt werden sollen, werden die Ergebnisse eines erneut erhobenen Meinungsbildes seiner Mitglieder zu den fünf wichtigsten ethischen Prinzipien, die sich eine Nachhaltigkeitsökonomie angelegen sein lassen sollte, dargestellt. Ferner wurden Bewertungskriterien dem gleichen Verfahren unterworfen. „In der zweiten Runde wurden Fragen zur Zielbeziehung von ethischen Prinzipien und Bewertungskriterien gestellt. Diese beschränkten sich auf die – in Runde 1 ausgewählten – wichtigsten ethischen Prinzipien und Kriterien. Die Ergebnisse zur Zielbeziehung wurden dann den Teilnehmer*innen in einer dritten Befragungsrunde erneut vorgelegt. Ziel dieser Teiluntersuchung war es, einen Konsens der Vertreter*innen der Nachhaltigen Ökonomie zu ermitteln und zur Weiterentwicklung der Theorie der Nachhaltigen Ökonomie beizutragen“[4]. Hier werden die Gründungsriten einer Glaubensgemeinschaft ausgebreitet, es fehlt an einer analytischen Einordnung des Ganzen. Das verdeutlicht eine Auflistung der sieben wichtigsten Prinzipien und der sieben wichtigsten Kriterien.
Prinzipien: 1. Vorsorgeprinzip, 2. Prinzip der Verantwortung, 3. Prinzip der intragenerativen Gerechtigkeit, 4. Prinzip der intergenerativen Gerechtigkeit, 5. Verursacherprinzip, 6. Solidaritätsprinzip, 7. Dauerhaftigkeit.
Kriterien: 1. (Ökologische) Wirksamkeit, 2. Akzeptanz bzw. politische & gesellschaftl. Durchsetzbarkeit, 3. Praktikabilität, 4. Innovatorische Impulskraft bzw. dynamische Anreizwirkung, 5. Konformität mit höherrangigem Recht, 6. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, 7. Umsetzungslastverteilung.
Ein Ansatzpunkt für eine geschlossene Theorie ist hier nicht zu erkennen, nicht für eine beschreibende Theorie und schon gar nicht für eine präskriptive Theorie. Das Verhältnis von Prinzipien zu Kriterien ist unklar: Prinzipien sind letzte Gründe, sollen sie an Kriterien gemessen werden?
Auch die weiteren Schriften[5] verschaffen nicht mehr Klarheit, denn der Eindruck eines beharrlichen Tretens auf der Stelle in der Aufstellung unklarer und teilweise widersprüchlicher Forderungen bleibt. Zudem scheint das Netzwerk auch noch in Auseinandersetzungen über Inhalte und Vorgehen zu sein.
Vor Allem aber ist die Frage zu beantworten: Wenn der Ökonomie die Rolle eines kleinen Subsystems im großen natürlichen und menschlichen Räderwerk zugewiesen werden soll, warum wird der Gesamtkomplex dann mit Nachhaltiger Ökonomie bezeichnet? Und warum wird für alle aufgeführten Missstände im natürlichen und menschlichen Miteinander nur die Ökonomie verantwortlich gemacht und nicht Theologen, Philosophen, Mediziner Physiker, Chemiker, Öffentliche Bedienstete …? Handel, Handwerk und Gewerbe gab es im Mittelalter schon und die die solches betrieben, beanspruchten keinen Platz im Schrifttum. Bis zur Gewichtsverlagerung der Moralphilosophen im 18. Jhdt. zu Gunsten wirtschaftlicher Fragestellungen galt dasselbe. Wenn Rogall dieses Rad wieder zurückdrehen möchte, nur Mut!
All-purpose-economy: zukunftsweisend?
Drei Schüttungen bunt gemischter Ziele, Wünsche und Forderungen ohne Maß und Ende, es sei denn, man konzediert Daly wegen seines Hinweises auf ein zu erstrebendes Null-Wachstum eine gewisse Zielstrebigkeit und Bindung an Maßgrößen der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Davon können wir aber nicht ausgehen, denn die Verwirklichung seiner Forderung nach Mindestreservesätzen für die Banken von 100% allein ließe die Kreditwirtschaft ersterben und die Volkswirtschaft zum Sozialfall werden. Offenbar wird, dass hier keine Autorengruppe der anderen traut und jede ihr Rad neu erfinden will. Gleichwohl wäre nicht zu erwarten, aus einem Aufeinander-Aufbauen einen zielführenden Prozess zu formen. Zuerst wäre zu systematisieren in der Weise, daß geprüft wird, ob die Sammlung vollständig oder „über“-vollständig ist, ob die Einzelwünsche überschneidungsfrei sind (wo nicht, sind Austauschregeln zu bestimmen), ob sie widerspruchsfrei formuliert sind (wo nicht, sind Austauschregeln zu bestimmen). Ebenso wären die Maßgrößen der Zielerfüllung zu bestimmen (uns Allen würde vielleicht das Glück einfallen oder die Wohlfahrt, aber woran wird das gemessen, wäre der König von Bhutan der geeignete Berater?). In keiner der drei Ansätze ist das bisher geschehen, obwohl dies bestenfalls den ersten zaghaften Schritt bedeutete – und in allen drei Fällen sind ja bereits einige Jährchen ins Land gegangen. Weiteres ist wohl nicht zu erwarten, selbst wenn Mitgliederzuwächse der Gemeinschaften wahrscheinlich sind.
[1] vgl. United Nations: Transforming our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development. Outcome Document fort he UN summit to Adopt the Post-2015 Developments Agenda. Draft for Adoption. New York 2015.
[2] Costanza, Robert; Daly, Lew; Fioramonti, Lorenzo; Giovannini, Enrico; Kubiszewski, Ida; Mortensen, Lars Fogh; Pickett, Kate; Ragnarsdottir, Kristin Vala; De Vogli, Roberto; Wilkinson, Richard: Modelling and measuring sustainable wellbeing in connection with the UN sustainable Develeopment Goals. In: Ecological Economics, No. 130 (2016), S. 350 – 355, hier S. 350.
[3] Rogall, Holger; Gapp-Schmeling Katharina: Nachhaltige Ökonomie, Band 1: Grundlagen des nachhaltigen Wirtschaftens. Marburg 2021.
[4] Gapp-Schmeling, Katharina; Rogall, Holger: Weiterentwicklung und Innovation der Nachhaltigen Ökonomie. In: 7. Jahrbuch Nachhaltige Ökonomie, Im Brennpunkt: Nachhaltiges Wirtschaften und Innovation, Marburg 2021, S. 57 – 68, hier S. 61.
[5] z. B. Rogall, Holger; Oebels, Kerstin: Von der Traditionellen zur Nachhaltigen Ökonomie. Working Papers of the Institute of Management Berlin at the Berlin School of Economics and Law [HWR Berlin], No. 53, oder ein mit dem Stichwort Nachhaltige Ökonomie unter dem link https://holgerrogall.wixsite.com/holger-rogall/nachhaltige-oekonomie von Rogall ins Netz gestellter Text (… „Damit wird die Wirtschaft als ein Subsystem der Natur und die natürlichen Ressourcen größtenteils als nicht substituierbar angesehen. Das Drei-Säulen-Modell, das von einer Gleichwertigkeit der Zieldimensionen ausgeht (ohne absolute Naturgrenzen), wird somit abgelehnt“ …, unter Ziff. 1.